Pfleger schiebt ein Bett über einen Krankenhausflur

Hessen Hessens Krankenhäuser grundsätzlich bereit zur Reform - Sorgen überwiegen

Stand: 08.05.2024 20:53 Uhr

Vor dem Beschluss der Krankenhausreform warnt die hessische Krankenhausgesellschaft vor drohenden Insolvenzen. Ärzte und Fachleute halten ein neues Versorgungssystem für nötig, den Plan von Bundesgesundheitsminister Lauterbach aber für mangelhaft.

Von Jutta Nieswand

"Die Situation ist so dramatisch wie noch nie", sagt Steffen Gramminger, der geschäftsführende Direktor der Hessischen Krankenhausgesellschaft (HKG). Für viele Krankenhäuser in Hessen sei es finanziell mehr als eng. "80 Prozent aller Kliniken in Deutschland und damit auch in Hessen schreiben rote Zahlen", sagt Gramminger.

Einige Kliniken müssten praktisch jeden Monat prüfen, ob sie nicht eine Insolvenz anzumelden hätten. Zwei Krankenhäuser in Hessen hätten das zuletzt getan, das DRK-Krankenhaus Biedenkopf und die Scivias Caritas Klinik in Kiedrich (Rheingau-Taunus). Nach Angaben des HKG-Geschäftsführers sei bei einer zweistelligen Zahl an Häusern allein in Hessen unsicher, ob sie fortbestehen könnten. Insgesamt sei das Defizit der Krankenhäuser im Land auf eine Milliarde Euro angewachsen.

Grafik in weiß-blau und in Form einer Sprechblase mit dem Text "hr-Thema: Zukunft der Kliniken"

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Seit langem wird über das geplante Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diskutiert. In der kommenden Woche will das Bundeskabinett es beschließen. Die Diskussionen dürften danach weitergehen, zumal die Bundesländer in der Gesundheitspolitik mitbestimmen. Einen Tag lang befasst sich der hr auf allen Ausspielwegen mit dem Thema.

Als Gründe nennt Steffen Gramminger einen fehlenden Inflations- und Tarifkostenausgleich, dazu auf der anderen Seite gestiegene Löhne und Gehälter sowie hohe Energie- und Sachkosten. Der HKG-Chef geht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage der Kliniken weiter zuspitzen wird.

Zu einem ähnlichen Befund kommt Reinhard Schaffert, der Geschäftsführer des Klinikverbunds Hessen, der die kommunalen Krankenhäuser vertritt: "Die Krankenhausbehandlung ist nicht kostendeckend." Der sogenannte Landesbasisfallwert, der grundsätzliche Preis für eine Behandlung, sei weniger stark gestiegen als die Ausgaben.

Sinkende Zahl an Behandlungen

Schaffert weist auch darauf hin, dass die Zahl der Behandlungen nicht nur während der Corona-Pandemie eingebrochen sei. Auch seitdem liege die Menge der Fälle unter dem Niveau von 2019. Das mache sich im Budget der Krankenhäuser negativ bemerkbar. Schließlich seien die Kliniken auf möglichst viele Behandlungen angewiesen, da sie sich weitgehend über Fallpauschalen finanzierten, legt der Chef des Klinikverbunds dar.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will mit seiner Krankenhausreform Abhilfe schaffen. Die Fallpauschalen sollen nur noch 40 Prozent der Finanzierung ausmachen. 60 Prozent sollen die Krankenkassen über eine Grundfinanzierung abdecken, unabhängig von der Zahl der Fälle. Damit sollen die Kliniken wirtschaftlich weniger abhängig davon sein, wie viele Patienten sie behandeln. Das soll gerade auf dem Land helfen, die Gesundheitsversorgung zu sichern.

Gleichzeitig sollen sich die Kliniken nach dem Willen der Bundesregierung stärker spezialisieren. Die Bundesländer sollen den einzelnen Häusern sogenannte Leistungsgruppen zuweisen. Bestimmte Operationen soll es dann nur noch dort geben, wo die Standards dafür erfüllt werden. Vor allem in Städten dürften daher Kliniken manche Abteilungen oder gleich ganz schließen.

"Das größte Problem ist die Unsicherheit"

Im Krankenhaus Sachsenhausen in Frankfurt zum Beispiel wird zum 1. Juli die Geburtshilfestation geschlossen. Die gibt es seit fast 100 Jahren, doch zuletzt sank die Zahl der Geburten dort deutlich. Im Zuge der bevorstehenden Krankenhausreform müsse sich das Haus auf bestimmte Leistungsbereiche konzentrieren, sagt Geschäftsführerin Claudia Fremder: Dazu zählten etwa die Diabetes-Fachklinik, die älteste Europas, und das Adipositas-Referenzzentrum, das deutschlandweit größte.

Die angekündigte Reform löse viel Unsicherheit und Ängste unter den Ärzten aus, berichtet Elke Jäger, die am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt die Abteilung für Onkologie und Hämatologie leitet. Niemand wisse bisher, welches Haus sich wie spezialisiere. Das habe schon zu Abwanderungen von Ärzten geführt, so dass in manchen hessischen Krankenhäusern zum Teil der Betrieb gefährdet sei.

"Das große Problem ist die Unklarheit", sagt Manuel Zelle, Geschäftsführer im Frankfurter Krankenhaus Nordwest. Seit zwei Jahren gebe es verschiedene Referentenentwürfe für die Reform, aber kein Ergebnis. "Wir brauchen ja eine gewisse Planungssicherheit, etwa für den Kauf von Großgeräten, für Sanierungen, für Investitionen", betont Zelle.

Experte erwartet keine Unterversorgung

Wolfram Burkhardt, Professor für Gesundheitsökonomie an der Frankfurt University of Applied Sciences, verspricht sich von einer Neuordnung der Kliniklandschaft gute Chancen für mehr Qualität und eine bessere Versorgungssicherheit. "Das Risiko liegt in einer Reform von oben, die nicht wirklich die Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigt", sagt er.

Die Krankenhäuser seien bereits dabei, sich zu spezialisieren und Leistungsbereiche zu definieren, für die sie eine Existenzsicherung von der Politik garantiert bekämen, hat Burkhardt beobachtet. Zu den Ängsten in der Bevölkerung und in den Kliniken sagt er: "Ich vermute nicht, dass es eine Unterversorgung geben wird und dass Krankenhäuser einfach so von oben dichtgemacht werden."

Krankenkassen halten Reform für unumgänglich

Die Grundversorgung müsse in der Stadt und vor allem auf dem Land erhalten bleiben, findet Ingo Tusk, Leiter des Endo-Prothetik-Zentrums an der Frankfurter Klinik Rotes Kreuz. In akuten Notfällen, zum Beispiel bei einem Herzinfarkt oder einer Blinddarmentzündung, müssten die Patienten schnell versorgt werden. Dazu brauche es kurze Wege. "Deswegen müssen die kleinen Kliniken erhalten bleiben", sagt Tusk.

Andererseits: Bei planbaren Eingriffen könne man Patienten einen weiteren Weg zumuten, findet Tusk. Dabei liefere ein spezialisiertes, möglichst eingespieltes OP-Team entsprechend bessere Behandlungsergebnisse. Aus Tusks Sicht ein wichtiges Argument für die erwünschte Spezialisierung von Krankenhäusern.

Für die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) ist völlig unstrittig, dass die Krankenhauslandschaft reformiert werden muss. Deutschland leiste sich viel zu viele kleine Kliniken, die nicht in allen Medizinbereichen eine vernünftige Versorgung anbieten könnten. Stattdessen würden ärztliche und pflegerische Ressourcen an falschen Stellen gebunden - in Zeiten des Fachkräftemangels ein umso größeres Problem.

Sorge um ambulante Versorgung

Die KVH fordert eine Krankenhausreform, die die Patientenströme nach der Qualifikation der Häuser steuert. Auf hr-Anfrage äußert ein KVH-Sprecher jedoch die Befürchtung, dass die Pläne von Bundesgesundheitsminister Lauterbach dazu führen, dass die ambulante fachärztliche Versorgung zerschlagen wird. Eine wohnortnahe Versorgung in den Haus- und Fachpraxen gäbe es dann nicht mehr. Niedergelassene Fachärzte würden zu Hilfsarbeitern der Krankenhäuser degradiert und sollten nur noch deren Betten füllen. Man müsse die ambulante Versorgung stärken, betont die KVH.

Wichtig sei, dass schnell klare Regeln aufgestellt würden - auch für eine bessere Zusammenarbeit von stationären und ambulanten Einrichtungen, findet die Onkologin Elke Jäger vom Frankfurter Nordwest-Krankenhaus. Dadurch würden Synergien entstehen.

Es gehe nicht allein um eine Krankenhausreform, sondern um eine umfassende Gesundheitsreform, sagt Martin Hussing, Pflegedirektor am Nordwest-Krankenhaus. Ihm greift der aktuelle Gesetzentwurf zu kurz. Hussing hätte sich eine Vision erhofft, wie "patientenorientierter ärztlicher und Pflegedienst" in Deutschland erreicht werden könnten: "Es gibt Länder, die sind uns vor allem in der Pflege um 100 Jahre voraus."

Krankenhausgesellschaft: Land muss mehr zahlen

Steffen Gramminger von der hessischen Krankenhausgesellschaft hält die bisherigen Reformpläne für gut gemeint, aber schlecht gemacht. Die sogenannte Vorhaltefinanzierung sei richtig, aber die vorgesehene Regelung zu kompliziert und bürokratisch. Außerdem dürfte die Trennung zwischen ambulantem und stationärem Bereich zu Doppeluntersuchungen und Mehrkosten führen, befürchtet er.

Letztlich sei jedes Bundesland anders aufgestellt, sagt Gramminger: "In Hessen wurden die Investitionsmittel vor vier Jahren schon mal aufgestockt, aber es reichte immer noch nicht." 390 Millionen Euro hätten die Kliniken vom Land erhalten, "da haben etwa noch 150 Millionen Euro gefehlt", rechnet der HKG-Direktor vor. Im Doppelhaushalt der neuen Regierung seien 550 Millionen an Investitionsmittel eingeplant. Gramminger glaubt, "dass sich dadurch die Sünden der letzten zehn Jahre nicht reparieren lassen", und plädiert für eine Soforthilfe.

Hessische Gesundheitsministerin: Auch Bund muss zahlen

Grundsätzliche Zustimmung für eine Krankenhausreform kommt auch von der neuen hessischen Gesundheitsministerin Diana Stolz (CDU). "Der vorliegende Gesetzentwurf ist aber aus Sicht der Bundesländer stark änderungsbedürftig", schreibt sie auf hr-Anfrage. Die Reform müsse in der Praxis funktionieren und daher regionale Besonderheiten berücksichtigen.

Und natürlich geht es ums Geld. Für die Finanzierung der nötigen Investitionen müssten die Länder aufkommen, hier habe Hessen seine Aufgaben gemacht, findet Stolz. Doch die Betriebskosten muss der Bund tragen, zumal diese "aus dem Ruder laufen", wie die hessische Gesundheitsministerin betont: "Auch bei den notwendigen Transformationskosten darf sich der Bund nicht wegducken." Die Krankenhausreform werde so viel Geld kosten, das die Beitragszahler und die Länder nicht allein aufbringen könnten.